Mit 60 ist noch lange nicht Schluss.

Frauen mit Erreichen des Pensionsantrittsalter zu kündigen ist unzulässig – aber gängige Praxis.

Barbara W. will endlich Antworten: „Warum wird den Österreichern immer vorgeworfen, sie würden zu früh in Pension gehen?“, fragt die 59-Jährige in einem offenen Brief an Kanzler und Vizekanzler, der dem KURIER vorliegt. „Könnte es vielleicht sein, dass niemand Interesse daran hat, Arbeitnehmer länger zu beschäftigen?“ Die vierfache Mutter kehrte nach längerer Kinderbetreuung wieder in den Beruf zurück, ist noch lange nicht „arbeitsmüde“ und würde gerne zwei weitere Jahre im Erwerbsleben bleiben.

Allein sie darf nicht. „Die Firma beschäftigt prinzipiell niemanden über das Regelpensionsalter hinaus“, richtete ihr der Vorgesetzte aus. Gespräch über eine mögliche Weiterbeschäftigung gab es keines. Gängige Praxis in Österreich, obwohl seit 2010 eigentlich unzulässig. Eine Tiroler Ärztin setzte sich gegen ihre Zwangspensionierung mit 60 zur Wehr und bekam vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) recht. Laut dem richtungsweisenden EuGH-Urteil stellt die Kündigung von Frauen mit Erreichen des Regelpensionsalters eine Geschlechterdiskriminierung nach dem Gleichbehandlungsgesetz dar. Grund ist das unterschiedliche gesetzliche Pensionsantrittsalter zwischen Männer und Frauen, sodass Frauen fünf Jahre früher Anspruch auf Alterspension erwerben. Inzwischen gibt es weitere Höchstgerichtsurteile, die Zwangspensionierungen von Frauen zwischen 60 und 65 Jahren aufhoben, weil sie ungleich zu jenen der Männer waren.

„Obwohl die Rechtslage klar ist, gibt es relativ wenig Wissen darüber“, sagt Bianca Schrittwieser von der Abteilung Frauen und Familie in der Arbeiterkammer Wien. Sie empfiehlt Frauen, die sich nicht zwangspensionieren lassen wollen, sich binnen zwei Wochen an die AK oder Gleichbehandlungsanwaltschaft zu wenden. Auch wenn jeder Fall unterschiedlich ist, sind die Erfolgsaussichten bei einer Klage gut: „Die Beweisfrage ist eindeutig, etwa wenn im Dienstvertrag das Antrittsalter als Auflösungsgrund steht“, ergänzt Gleichbehandlungsanwältin Sandra Konstatzky, die schon mehrere Verfahren diesbezüglich führte. Erst ab 65 ist eine Beendigung des Dienstverhältnisses problemlos möglich. Dann endet auch der arbeitsrechtliche Schutz, wie etwa die Kündigungsanfechtung wegen Sozialwidrigkeit.

Um das faktische Pensionsantrittsalter zu erhöhen, soll es schon ab Jänner 2015 ermöglicht werden, Einkommen und Pensionsbezug miteinander zu kombinieren. Sozialminister Rudolf Hundstorfer will demnächst den Gesetzesentwurf für eine Teilpension in Begutachtung schicken.

Die für 2015 geplante Teilpension und der Pensionsbonus bei längerem Verbleib sind erste, wichtige Schritte dazu. Es braucht aber auch radikalere Lösungen, etwa die unumgängliche Abflachung der Gehaltskurven und ein wirksames Bonus-Malus-System für Betriebe.

(Kurier, 6. Oktober 2014, Anita Staudacher)

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